00:00:00:00 - 00:00:12:04 Musik [Musik. Verzerrte Stimme: Kulturmanagement innovativ] 00:00:12:04 - 00:00:17:01 Eva Hüster Herzlich willkommen zu unserem Podcast "Kulturmanagement Innovativ... 00:00:17:01 - 00:00:25:08 Joye Diedrich ...Kontakt". Ein Projekt der Hamburg Open Online University von und mit StudentInnen des Instituts für Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. 00:00:25:08 - 00:00:26:23 Eva Hüster Mein Name ist Eva Hüster. 00:00:26:23 - 00:00:34:07 Joye Diedrich Und ich bin Joyce Diedrich. Und diesmal entfernen wir uns etwas weiter vom Institut KMM und sprechen mit Prof. Dr. Uwe Schneidewind. 00:00:34:14 - 00:01:04:12 Eva Hüster Uwe Schneidewind ist Wirtschaftswissenschaftler und seit November 2020 Oberbürgermeister von Wuppertal für die Grünen. Bis zur Aufnahme seines politischen Amtes 2020 war er Präsident des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Er hatte außerdem eine Professur für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Bergischen Universität Wuppertal inne. Seit 2011 ist er Mitglied im Club of Rome. 00:01:04:20 - 00:01:18:09 Joye Diedrich Der Club of Rome ist ein Zusammenschluss von ExpertInnen verschiedener Disziplinen aus mehr als 30 Ländern und wurde 1968 gegründet. Die gemeinnützige Organisation setzt sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit ein. 00:01:18:09 - 00:01:29:16 Eva Hüster Schneidewind ist Herausgeber und Autor zahlreicher Bücher. In seinem Buch "Die große Transformation" entwickelt er den Begriff "Zukunftskunst", um den es in unserem Gespräch unter anderem gehen wird. 00:01:30:01 - 00:01:42:02 Joye Diedrich Außerdem suchen wir nach Parallelen zwischen politischer und kultureller Arbeit und sprechen über cultural versus political leadership und suchen nach heutigen Qualitätskriterien für Innovationen. 00:01:42:02 - 00:01:45:12 Eva Hüster Wir wünschen euch beim Hören dieser Folge viel Spaß. 00:01:45:12 - 00:03:01:01 Joyce Diedrich Vielen Dank, Herr Schneidewind, dass Sie da sind, dass Sie sich die Zeit nehmen für uns und unseren Podcast. Wir haben Sie gefragt, ob Sie Zeit und Lust haben zu einem Gespräch, weil Sie Experte sind für Transformationsprozesse, für Innovationsprozesse. Sie kommen aus der Wirtschaftswissenschaft und Wikipedia nennt sie einen der 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands. Und jetzt sind Sie mitten in der Pandemie Oberbürgermeister von Wuppertal geworden. Das sind super spannende Stationen. Und jetzt wollten wir Ihnen eigentlich die Frage stellen, wie Sie von der Wirtschaft in die Politik gewechselt sind. Und wir haben aber in der Vorbereitung eben schon sehr häufig die Antworten gehört, die wir inspirierend fanden, weil sie aus einem gewissen Idealismus herauszukommen schienen, nämlich dass Sie oft beschrieben haben, dass Sie in die Aktion treten wollten, dass Sie Ihre Theorien, die Sie entwickelt haben, umsetzen wollten, so direkt es nur ging. Und jetzt wäre meine Frage erst mal - korrigieren Sie mich sehr, sehr gerne: Was hat sich bisher eingelöst von Ihren Erwartungen an die Politik? Und gerade im letzten Jahr? 00:03:01:23 - 00:04:34:20 Uwe Schneidewind Sie haben das ja so ein bisschen beschrieben, der rote Faden in der Biografie sind eigentlich Veränderungsprozesse, Transformationsprozesse. Ich bin ja auch deswegen bin in der Wirtschaftswissenschaft, eigentlich in der Managementwissenschaft gelandet, weil ja auch das Orte sind, wo es darum geht, wie man in den Managementwissenschaften so schön sagt, produktive, soziale Systeme zu gestalten. Also immer wieder zu sehen, wie wirken Menschen so zusammen, dass am Ende Mehrwerte, Güter, Dienstleistungen und ein anderes Miteinander herauskommt? Das Interesse hat sich dann Stück für Stück erweitert. Zu verstehen: Wie wirken eigentlich Unternehmen im gesellschaftlichen Umfeld? Oder wie verändern sich gesamte Gesellschaften? Gerade vor dem Hintergrund ganz neuer Wertegerüste, in denen wir ja seit Ende des 20. Jahrhunderts leben. Also dieses Thema nachhaltige Entwicklung kam dann in den 90er Jahren der Biografie hinzu. Und das ist einmal intellektuell hoch anregend, also weil das äußerst komplexe und vielschichtige Prozesse sind. Und Städte sind so ein bisschen die Kulminationsorte für Veränderung, weil das ja oft auch kulturelle Transformationen zu Veränderungsprozessen sind. Und es kommen neue Werthaltungen hinein, ganz neue Muster des Miteinanders. Dieser ganze Prozess moderner Zivilisation ist ja im Wesentlichen ein kultureller Veränderungsprozess. Und in den Städten - Die sind sozusagen die Hotspots, also wo oft Vorreitergruppen aktiv sind, wo sich aber auch im Hinblick jetzt auf ökologische Fragen ganz viele Herausforderungen ballen. 00:04:35:14 - 00:05:55:20 Uwe Schneidewind Und darum habe ich in meiner Forschung gerade in den letzten 10 bis 12 Jahren am Wuppertal Institut, haben wir viel mit Städten- und Stadtveränderungsprozessen gearbeitet. Und als dann die Frage an mich kam: Können Sie sich denn vorstellen auch Oberbürgermeister in Wuppertal zu werden?, dann war das erstmal eine Überraschung, weil: Das war jetzt nicht eingepreist in der eigenen Biografie. Aber ich das auch als so ein Zeichen gedeutet habe, wenn man eine solche Chance bekommt. Und auch Menschen, die sich jetzt in so einem System auskennen, sagen: Herr Schneidewind, Sie könnten vermutlich auch ein guter Impuls auch hier für unser konkretes städtisches System sein, so eine Chance dann auch zu ergreifen. Das ist sozusagen der rote Faden. Ja, und in der Frage, was hat sich da in den letzten anderthalb Jahren erfüllt? Also, das liegt wirklich auf sehr unterschiedlichen Ebenen. Das eine sind ja jetzt äußere Erfolge: Was hat man selber durch Anstöße verändert? Und das andere ist ja eher auch die Frage: Was hat man eigentlich noch mal an so ganzen neuen Einsichten bekommen in dieser Art der Veränderungsprozesse? Und beides hängt natürlich eng zusammen, weil: Gerade die Oberbürgermeisterrolle ist ja eine extrem aufgeladene. Also ich merke das immer gerade, wenn man mit Kindern zusammen ist. 00:05:56:05 - 00:06:53:14 Uwe Schneidewind Unter Oberbürgermeister kann sich jeder was drunter vorstellen. Das der Chef der Stadt. Das ist der, der alles macht, dass es in der Stadt gut wird oder nicht so gut wird. Da haben dann viele Benjamin Blümchen vor Augen, da kommt der Oberbürgermeister ja nicht ganz so gut weg. Aber das ist eben die Identifikationsfigur, oft noch viel mehr greifbar als wenn du mit ihm dann über irgendwelche Landesminister oder Bundesministerin sprichst. Und auf der anderen Seite ist so eine Oberbürgermeisterrolle natürlich in ganz, ganz viele Randbedingungen eingebettet. Wo man manchmal überrascht ist, wie ohnmächtig diese Rolle eigentlich ist. In der Frage Abhängigkeit von politischen Mehrheiten, Zusammenarbeit in dem Verwaltungsvorstand mit Dezernentinnen, Dezernenten, die andere Parteibücher haben, manchmal oft mehr gegen einen als für die Stadt und einen selber arbeiten. Und das schafft dann für Veränderung natürlich ganz, ganz besondere Bedingungen und dann natürlich ein emotional extrem aufgeladenes Feld. 00:06:53:14 - 00:07:49:11 Uwe Schneidewind Also das war für mich jetzt so eine der intensivsten Erfahrungen in den ersten Monaten, die Projektionsfläche, die man in dieser Rolle ist. Dann auch noch mal als grüner Oberbürgermeister, ne, wo dann ja auch ganz viele Stereotypen, Abwehrreflexe da sind mit allen Veränderungen, die man dann anstößt. Und eben dieses Dauernd-unter-Beobachtung-auch-Stehen. Wir hatten das im Vorgespräch ja angesprochen, genau beobachtet bei den sozialen Medien: Was macht der? Was macht der nicht? Warum macht er eigentlich das und kümmert sich um diese Dinge nicht? Und also der Respekt vor der Oberbürgermeisterrolle, der ist seit der letzten eineinhalb Jahren ungemein gestiegen, ne, weil, das natürlich... Jetzt nicht nur in konkreten Veränderungen, sondern auch in der Frage: Wie geht man auch selbst dann in der Rolle damit um? Und wird man ihr in ihren vielschichtigen Aufladung gerecht? Man dann eine hohe Achtung gerade für diejenigen bekommt, die das über viele Jahre erfolgreich machen. 00:07:49:20 - 00:08:35:05 Joyce Diedrich Ja, dankeschön. Vielleicht zum Verständnis, warum das auch so interessant ist, weil natürlich in unserem Studiengang wir auch zu Führungskräften ausgebildet werden. Und das in... das großer Teil auch des Studiengangs ist, dass wir über Leadership nachdenken, Cultural Leadership im Speziellen, aber generell Leadership und wir natürlich ganz viele Theorien uns anschauen und lernen und dann eben in die Praxis irgendwann gehen werden oder teilweise auch schon gehen und da eigene Erfahrungen machen. Und deswegen ist das interessant zu hören. Und eben, wie Sie sagen, die Oberbürgermeisterrolle ist eine sehr... Da hat man irgendwie ein bestimmtes Bild dazu, genau wie Sie sagen. Ja. 00:08:35:22 - 00:11:10:08 Uwe Schneidewind Das ist - also gerade unter Leadership-Aspekten - ist die Oberbürgermeisterrolle wirklich hochinteressant. Also das hat mich durchaus auch mal sehr gereizt, weil dieses Thema Leadership auch mich sehr beschäftigt hat, weil man eigentlich eine Führungsrolle in drei Arenen ausübt mit völlig unterschiedlichen Anforderungen. Ne, ist das Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal bin ich auf der einen Seite, meine offizielle Bezeichnung ist ja Hauptverwaltungsbeamter, das heißt ich bin der Chef einer Verwaltung mit 4500 bis 5000 Menschen. Und eine Verwaltung ist ja eine Organisation, die in besonderer Form, ne, auch ordnungsgemäß Berechenbarkeit erzeugt. Da ist man noch sehr stark bei Max Weber und so grundlegenden Organisationsprinzipien zum Teil ein sehr hierarchischer Modus, ne, und einer ganz bestimmten Erwartungshaltung, die dann mit dem Chef einer solchen Verwaltung verbunden sind. Zum anderen hat man natürlich in der Rolle als Oberbürgermeister so ein Political Leadership. Es geht eben darum, Mehrheiten zu formen und immer wieder zu sehen, wie man die Mitglieder eines Rates, Ratsfraktionen gewinnt und so eine politische Logik, das läuft nach völlig anderen Regeln. Das muss ich zum Teil jetzt auch manchmal sehr schmerzvoll erfahren, ne. Also wenn sich zum Teil dann Kategorien, Machtpositionierung von Parteien, Sachaspekte dann oft ein ganzes Stück überlagern und das dann wieder eine völlig andere Form von Leadership ist. Also man merkt auch, warum Political Leadership oft etwas ist, was man dann manchmal wirklich gut gelernt haben muss von der Jugendorganisation in irgendwelchen Parteien. Da bin ich jetzt intensiv mit konfrontiert, ne, weil ich da an vielen Stellen auf Profis treffe, die das seit 30 Jahren machen und ich dann mit einer sehr starken Sachorientierung zum Teil man dann so richtig gegen Wände läuft. Und das dritte ist natürlich so ein Leadership in die Stadtgesellschaft hinein. Gerade eine Stadt wie Wuppertal - schwierige finanzielle Situation - lebt natürlich von einem Engagement der Zivilgesellschaft, von Unternehmen. Ein Großteil dessen, was in so einer Stadt passiert, gelingt durch ein Zusammenwirken von vielen Akteuren, über die ich ja gar keine formale Autorität habe, die man aber so im Sinne dessen, was man unter lateraler Führung diskutiert, ne, mit denen man gemeinsam Visionen, Ideen entwickelt, die man aufeinander bezieht. Also man hat wirklich drei sehr unterschiedliche Führungsrollen. Und die Kunst ist, die klug aufeinander zu beziehen. Also da ist es wirklich für Leadership ein faszinierendes, aber auch durchaus sehr herausforderndes Feld, wenn man da mitten drinnen steht. 00:11:10:14 - 00:11:20:24 Eva Hüster Haben Sie denn trotz dieser na ja offensichtlich sehr umfangreichen und vielfältigen Arbeit auch trotzdem Gelegenheit, noch weiter zu forschen oder so wissenschaftlich zu arbeiten? 00:11:21:12 - 00:14:03:18 Uwe Schneidewind Also jetzt nicht im Sinne von wirklich aktiver Zeit, Aufsätze zu schreiben oder viele Vorträge zu halten. Was durchaus für mich eine wichtige Rolle spielt, und das merke ich auch, dass das fast sogar auch noch ein Stück bewusster, intensiver passiert, ist, natürlich immer wieder auch zu lesen, um Situationen und Konstellationen, die man erlebt, auch einzuordnen. Also dann auf konzeptionell, apparat auf empirische Dinge zurückzugreifen. Also insofern ist das schon auch für mich jetzt durch die Herkunft, die ich habe, auch mit einem intensiven intellektuellen Weiterentwicklungsprozess verbunden, ohne dass der aktuell - und das geht in dem Job dann wirklich nicht - in irgendwelche Aufsätze und Bücher mündet, ne. Aber in dem Nachdenken über Veränderung und Transformation gerade jetzt in so einem politischen und urbanen Kontext, also werde ich zurzeit nicht dümmer. Also es ist jetzt nicht so, dass man durch Umschalten den Praxismodus intellektuell verflacht, sondern durchaus extrem anregend ist. Und gleichzeitig ist das natürlich auch eine Herausforderung, ne, weil: Es gibt jetzt ja nicht so viele klassisch Intellektuelle, die Oberbürgermeister, Oberbürgermeisterin sind, ne, und dadurch auch schnell ein Fremdeln entsteht, ne. Da ist dann die Frage: Nimmt der das eigentlich ernst genug? Also indem er dann vielleicht sogar aus seinem eigenen Scheitern gelegentlich sogar intellektuellen Nektar saugt. Also das ist auf einer Habitusebene ist das durchaus auch eine Herausforderung. Weil ich ja ohnehin vorher nicht in der Lokalpolitik in Wuppertal aktiv war, auch für die Verwaltung neu bin. Also ich bin ohnehin Fremdkörper, in Corona hineingekommen. Wo ich eben merke: für diese herausfordernde Führungsaufgabe ist Vertrauen eine zentrale Kategorie. So. Und wenn du jemanden nicht kennst, die nicht in vielen Konstellationen über Jahre erlebt hast, fehlt diese Vertrauensbasis, die es dann leichter macht, bestimmte Handlungsweisen, das Sprechen, Aussagen einzuordnen. Und auch eine ganz, ganz wichtige Erfahrung, dass ich eben auch verstehe, warum es zum Teil wirklich auch gut ist, wenn Menschen, die ja seit ihrer Geburt in der Stadt leben, vielleicht sich seit 30 Jahren lokal-politisch engagieren, Oberbürgermeisterin, Oberbürgermeister werden, weil: Da ist dieses Grundvertrauen, das Kennen da, das kann auch umschlagen, ne. Es kann dann... können dann unwahrscheinlich viele über Jahre gewachsene Wunden, Abwehrreflexe, Stereotypen auch präsent sein, die das Zusammenarbeiten erschweren. Aber es ist eben auch eine Herausforderung, wenn da sozusagen gar nichts ist, ne, wenn man als unbeschriebenes Blatt jetzt in so ein System eintaucht. Also auch das ist eine hochinteressante Erfahrung. Ja. 00:14:04:23 - 00:14:31:00 Joyce Diedrich Wir fragen immer gerne, weil: Unser Podcast handelt ja eben auch... oder hat sogar im Namen "innovativ", also Innovation. Was ist Innovation? Fragen wir gerne jeden Gast. Auch weil dieser Begriff ja durchaus zu einem Buzzword ein bisschen geworden ist und gerne überall dabei ist und überall daneben steht und... Ja. Was bedeutet Innovation für Sie? 00:14:32:22 - 00:14:36:18 Uwe Schneidewind Ich hatte ja sogar mal eine Professur für Innovationsmanagement, ne. Insofern ist... 00:14:37:02 - 00:14:37:23 Joyce Diedrich Ganz genau. Ja, natürlich. 00:14:37:23 - 00:16:04:08 Uwe Schneidewind ...würde sagen, da haben Sie jetzt absolut recht, ne. Also das ist , was heute als Label auf so vielen Dingen steht und jede Form eigentlich von Veränderung und vermeintlich Neuem markiert, verliert das dann fast schon wieder an Kontur, ne, weil: Es ist ja dann immer wieder die Frage: um die Einführung von welchen Dimensionen, Neuen geht es da? Der gesamte Innovationsdiskurs, das zeichnet ja so die zweite Hälfte gerade des 20. Jahrhunderts aus, hat ja sehr, sehr viel mit technologischer Innovation zu tun, hat mit auch einem sehr stark ökonomisch aufgeladenen Innovationsverständnis zu tun. Also Innovation. All das an technologischen, organisatorischen, wirtschaftlichen Veränderungen, die sich am Ende niederschlagen, auch in mehr Wirtschaftskraft, in einem höheren Bruttosozialprodukt, und die so ein Stück nachzeichnen diese gewaltige ökonomische Erfolgsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, ja, wo gerade dann durch das Innovieren nicht nur auf Produkt..., sondern auch bei Produktionsprozessen, bei Organisationsmodellen eben dieser große Wohlstand für alle möglich wurde. Wo wir jetzt ja in eine Phase hineinkommen, wo diese Form von Innovation zunehmend ins Leere läuft, ne, oder Nebenwirkungen erzeugt. 00:16:04:08 - 00:17:36:07 Uwe Schneidewind Wo wir uns fragen: Ist das eigentlich noch die richtige Innovationsagenda, die wir verfolgen, ne? Also wir hatten jetzt gerade letztens mal ein Gespräch mit Unternehmen, wie Flink, die jetzt so Auslieferdienste sind von Lebensmitteln, das revolutionieren fast irgendwie 900 Millionen Venture Capital eingesammelt, ne. Also das sind die großen Innovationsthemen. Und wenn man sich ein bisschen zurücklehnt und fragt: Okay, äh, womit erzeugen wir heute Innovation, dass ich mich jetzt gar nicht mehr aus dem Haus bewegen muss, ne? Also Bequemlichkeitskultur noch stärker Weg bekomme, mit all den Nebenfolgen, die damit zu tun haben, von ökologischen Randbedingungen bei vielen anderen Innovationen abgesehen. Oder in der Automobilindustrie, ne. Das ist eben nur auch Innovation ist nur noch größer, ein SUV zu bauen und den dann mit geschicktem Marketing in den Markt zu drücken, in der Zeit wo wir wissen, dass wir längst neue Mobilität brauchen. Also da merkt man, dieses einfach lineare Fortsetzen der Innovation verliert an Bedeutung, wir diskutieren sehr viel mehr plötzlich über soziale Innovation. Also was sind eigentlich Formen des Zusammenlebens, die ein ganz anderes Wohlstandsverständnis zugrundeliegen haben, ne? In denen soziale ökologische Werte eine zentrale Rolle spielen und plötzlich die technologische Innovation gar nicht mehr im Zentrum steht, sondern es darum geht, die Art des Miteinanders in einer völlig neuen Form zu organisieren, Institutionen zu revolutionieren. 00:17:36:07 - 00:19:08:18 Uwe Schneidewind Wenn wir... "brauchen wir nicht so was wie Grundeinkommen, um andere Motivationen zu stärken?", "Wie machen wir unsere Sozial- und Alters-Versicherungssysteme wachstumsunabhängiger?", "Wie schaffen wir resiliente Ökonomien?" Das sind ja jetzt, sagen wir mal, die aktuellen Innovationsdiskurse, die ja den bisherigen zum Teil auch komplett entgegenstehen. Und insofern steht der Innovationsbegriff immer wieder dafür zu fragen: Wie schaffe ich eigentlich durch Veränderung angemessene Antworten auf die aktuellen Herausforderungen der jeweiligen Epoche und Zeit? Das sind heute eben zum Teil wirklich ganz andere Fragen als es noch vor 30, 40 Jahren der Fall war. Und da kommt, also ich glaube, da kommt dann auch so eine spannende Brücke auch in den Kulturbereich ja mit hinein, weil ich plötzlich sage: So was Lineares wie ein Bruttosozialprodukt kann gar nicht mehr die Kategorie sein. Brauche ich plötzlich vielleicht ganz andere ästhetische Kategorien, um die Qualität von Innovationen zu beurteilen? Also was macht eigentlich, ja, was Ausgewogenes, Angemessenes aus? Und es ist natürlich wirklich auch spannend, Innovation im künstlerischen Bereich und, sagen wir mal, Kunst, das Schaffen von Kunst ist ja eigentlich per se ein innovativer Prozess. 00:19:08:18 - 00:20:43:23 Uwe Schneidewind Neue Momente hineinzubringen, über Kreativität was Neues zu schaffen und dennoch dann ja immer wieder Gradmesser zu haben für die Qualität einer Innovation. Auch die Nachhaltigkeit, die Langlebigkeit von Innovation. Was sind künstlerische Innovation, die wirklich auch nachwirken. Wir merken das, gerade, wenn ich jetzt in Städten unterwegs bin, mir diese ästhetischen Kategorien über die letzten 20, 30 Jahre komplett verloren gegangen sind. Wenn ich durch Stadtfluchten habe wo ich merke, da ist jeder Quadratzentimeter von Gebäudeprojekten optimiert, um eine Eigenkapitalrendite zu optimieren und es ist nichts Schönes mehr an so einem Gebäude. Das geht wirtschaftlich auf, aber es hat keinerlei Ästhetik. Und dass dann vergleiche mit anderen Bauepochen... Wo dann auch so eine Dimension plötzlich noch eine Rolle spielte und man heute auch merkt, letztlich sind das sehr viel nachhaltigere dann in dem Fall auch architektonische Innovationen. Die Art, wie ich Plätze gestalte, wie ich mit Raum umgehe. Wie schaffe ich eigentlich wieder so einen ganzheitlichen Blick auf die Art, wie unsere Städte sich entwicklen? Daher habe ich dann automatisch dann Brücken auch in den Bereichen. Das führt ja auch dazu, dass in der Stadtentwicklung Kulturschaffende, auch Kulturbüros plötzlich in eine sehr viel strategischere Rolle hineinrutschen, weil sie über ein Orientierungs- und Kategorien-Kreativitätssystem verfügen, das für eine Stadtentwicklung vielleicht das sehr viel wertvollere ist als nur die Maximierung der Gewerbesteuererträge. 00:20:44:03 - 00:21:16:12 Eva Hüster Hm, ich bin grade unschlüssig, aber ich glaube, ich würde trotzdem, bevor wir da auch noch mal konkret nachfragen, also sozusagen das, was Sie ja jetzt schon die ganze Zeit sagen, wo Kultur Innovation mitprägt, würde ich eigentlich gerne erst mal die umgekehrte Frage stellen, nämlich: Glauben Sie, dass... Also Sie als Politiker, der ja die Kulturinstitutionen in Ihrem Umfeld bestimmt auch kennen und mit denen im Austausch sind, glauben Sie, dass auch da Innovation vielleicht noch an anderen Stellen nötig ist? 00:21:17:08 - 00:22:22:21 Uwe Schneidewind Also wir... Man erlebt das ja so einer Stadt sehr intensiv. Also wir haben eben Schauspiel, Oper, Symphonieorchester - sagen wir mal - das klassische Repertoire an Institutionen mit in den letzten Jahren durchaus sehr innovativen Intendantinnen und Intendanten, die zum Teil auch Institutionen neu erfinden. Und das ist natürlich, je nach Kategorie ist das dann sehr unterschiedlich. Also ein Format wie Oper arbeitet jetzt natürlich sehr viel mehr in einem festgefahrenen Kategoriensystem. Und dennoch ist es dann gerade spannend, wenn sich ein solches Format öffnet und wir hier auch gesehen haben, dass das durchaus auch gelingen kann. Das ist jetzt fürs Schauspiel immer wieder ein ganzes Stück auch noch mal leichter, weil Schauspiel sich natürlich auch über die Zeit immer wieder auch gewandelt hat. Bei uns kommt jetzt ja in Wuppertal noch mal eine ganz besondere Institution dazu mit dem Pina-Bausch-Tanztheater. Also auch das ist eben spannend. 00:22:22:21 - 00:23:22:03 Uwe Schneidewind Also wenn du so eine prägende Kulturinstitution in der Stadt hast, die über viele Jahrzehnte Avantgarde war und jetzt nach Tod Pina Bauschs es darum geht, diese Institution auch neu zu erfinden. Wir sind gerade dabei, auch ein Pina-Bausch-Zentrum aufzubauen und dieses Gleichgewicht zu finden zwischen Bewahrung dieses Erbes und dessen, was da heute auch noch an Ausdruckskraft in diesen Stücken steckt. Und auf der anderen Seite auch zu fragen: Wie muss sich und kann sich das eigentlich weiterentwickeln, um auch künftig immer wieder Akzente zu setzen? Und dann kommt man in diesen ganz breiten, ausdifferenzierten Bereich der freien Szene. Also die - sagen wir mal - also sich ständig natürlich neu erfindet, auch Antworten auf ganz viele Fragen der Stadt findet. Und dann aber unter radikal prekären Verhältnissen zum Teil agieren muss. Also insofern ist der ganze Kunst- und Kulturbereich in so einer Stadt äußerst vielschichtig, auch mit sehr unterschiedlichen Stadien des Sich-immer-wieder-neu-Erfindens. 00:23:23:08 - 00:24:09:03 Eva Hüster Das habe ich gelesen. Ich bin grade gar nicht mehr sicher, wo. Vielleicht sogar in Ihrem Buch, dass ja Wuppertal oder jedenfalls in der Auseinandersetzung mit Ihnen und dem Buch, dass Wuppertal ja so eine Strateg... also so eine räumlich interessante Lage hat zwischen Düsseldorf und Köln und aber ein Bereich ist, wo zumindest vor ein paar Jahren noch die Wohn- und Arbeitsraumpreise irgendwie erschwinglicher waren als jetzt in diesen größeren, höher frequentierten Städten waren. Würden Sie sagen, dass das in Wuppertal ein Alleinstellungsmerkmal ist oder ist das auch übertragbar? Weil: Mein Eindruck ist immer, also das hat ja so viel mit Orten zu tun, dass man das gar nicht generalisieren kann. 00:24:09:18 - 00:25:31:23 Uwe Schneidewind Absolut. Also das natürlich jetzt, gerade, wenn ich jetzt ein Oberzentrum wie Hamburg habe, dass dann so klassisch in die Peripherie sich dann ausweitet, aber wo ich natürlich dann in dem Umland nicht mehr die Dichte auch so an kultureller Anregungsqualität habe, haben wir natürlich in diesem multi-urbanen Raum, der die ganze Rhein-Ruhr-Region ist... hat das natürlich noch mal einen besonderen Reiz. Also, wie Sie das beschreiben, Düsseldorf und Köln als Städte, die zunehmend überlaufen. Das hat dann auch Auswirkungen auf die Preise, aber insbesondere auf die Verfügbarkeit von Raum und Platz. Also kreative Entfaltungsräume - ob nun Ateliers, einfach Orte, die nicht bespielt sind, die sich neu... die man sich neu aneignen kann - werden immer weniger und führen eben dazu, dass dann die Suche nach neuen Räumen beginnt und Wuppertal als eine Stadt, die natürlich auch in sich einen hohen eigenen urbanen Charakter hat und natürlich in ihrer 150-jährigen Geschichte auch immer wieder kulturelle Akzentsetzung. Da ist ja nicht nur Pina Bausch, Else Lasker-Schüler, Tony Cragg, dass auch was so in der Designtheorie passiert ist. Also das ist ein Ort, der jetzt durch seine Gegensätzlichkeit auf ganz, ganz vielen Ebenen immer wieder diese Anregungsqualitäten hat. 00:25:31:23 - 00:26:51:15 Uwe Schneidewind Und damit hat man mit einer halben Stunde Zugentfernung vom Kölner und Düsseldorfer Zentrum hat man eine eigene urbane Qualität. Und wir natürlich extrem davon profitieren, auch von den kreativen Milieus hier im Gesamtraum, die zunehmend Wuppertal auch als einen Ort entdecken, in dem ganz andere Entfaltungsmöglichkeiten da sind, zum Teil, als in diesen immer geringer werdenden Entfaltungsräumen in die großen Metropolen. Das ist dann in Hamburg wieder eine andere Situation als in Berlin, oder dann auch in München. Also daher ist das nicht beliebig transferierbar, sondern hängt ja von Lage, aber natürlich auch historischer Aufladung und der Anregungsqualität ab, weil: Jetzt in so einer klassischen Fürstenstadt, wo das immer alles gemächlich lief, immer Geld da war, ist es schon was anderes als so eine Industriestadt, die sich mit all ihren Gegensätzen vor 200 Jahren neu erfunden hat, das Manchester Kontinentaleuropas war, dieses ganze Elend hier als erstes auftrat, Leute wie Friedrich Engels hier wirkten, die... wo dann aber auch die ersten sozialen Initiativen auch entstanden. Also in dieser Stadt hat es ständig gekracht, in allen Extremen. So was wie eine Schwebebahn ist ja Ausdruck einer auch ökonomischen Kraft. 00:26:51:21 - 00:27:42:01 Uwe Schneidewind Also auf die Idee zu kommen, so ein Stahlgerüst über so mäandrierenden Fluss zu bauen, weil sonst kein Platz mehr ist. Das ist ja so ein Ausdruck: Man macht's, weil man's kann. Weil man der ganzen Welt zeigen will, was möglich ist. Und dann plötzlich 70 Jahre, 80 Jahre später einen Strukturwandel zu durchleben, wo man von einer der reichsten Städte Deutschlands plötzlich zu einem der Armenhäuser wird. Und das ist natürlich... Diese Gegensätze, die schaffen natürlich auch einen Raum, der extrem inspirierend ist, dann auch für die künstlerische Auseinandersetzung. Das hat ja auch dazu geführt, dass eine Pina Bausch Wuppertal nie verlassen hat. Nicht, weil sie so phantasielos war und dachte, Paris ist mir zu groß. Sondern weil sie wusste, sie hat... hier findet sie eine Qualität vor, die sie auch in ihrem künstlerischen Tun immer wieder inspiriert hat. 00:27:43:14 - 00:28:09:20 Eva Hüster Wenn wir jetzt noch mal zurückgehen zu der andersrumen Richtung. Also da einmal vorweggenommen: Uns ist in der Vorbereitung aufgefallen, dass es wirklich viele Parallelen gibt in Stichwörtern, die Sie benennen in Ihren Schriften oder in auch Gesprächen, die man mit Ihnen angucken kann, von denen wir übrigens manche auch verlinken werden in den Shownotes, weil sie wirklich sehenswert sind und anhörenswert. 00:28:10:22 - 00:29:08:21 Eva Hüster Also wenn man das alles konsumiert, dann merkt man, dass es so Überschneidungen gibt zu Kulturmanagementdiskursen, was ja auch nicht überrascht. Zum Beispiel den Begriff der Haltung, der bei uns am Institut eine große Rolle spielt, den unser Studiengangsleiter Herr Zierold auch in einer... also genau, mit einem großen Fokus bearbeitet, nämlich die Frage... also besser die These, dass eigentlich ohne eine vernünftige Haltung, ein Leitbild, kann man in diesen unsicheren Zeiten einfach keine Entscheidung treffen. Und weiter aber auch überhaupt eben dieser große Fokus bei Ihnen auch auf Transformation, wie auch bei uns Herr Zierold eigentlich sagt: Kulturmanager begleiten vor allen Dingen Kulturinstitutionen in Transformationsprozessen. Nichts anderes ist die Aufgabe oder wenig anderes. Inwiefern, glauben Sie, ist denn Kultur für diese Transformationsprozesse hilfreich oder wichtig? 00:29:10:10 - 00:30:37:02 Uwe Schneidewind Ich glaube, Kunst und Kultur hat ja immer schon Transformationsprozesse intensiv begleitet. Also es waren ja oft... da haben wir jetzt auch die künstlerische Avantgarde, die als erste Dinge gesehen, in Bilder, in Töne, auch in andere Ausdrucksformen übersetzt hat, die dann ja auch deswegen dann heute oft im Nachhinein noch so prägend waren, weil sie etwas auf den Begriff oder ins Bild oder in Ton gesetzt haben, was sich dann als eine prägende Zeitströmung gezeigt hat. Und ich glaube, diese Bedeutung von Kunst und Kultur als auf der einen Seite eine ganz besondere Beobachtungsinstanz - also dass man noch mal auf das, was da gesellschaftlich passiert, in ganz anderen, unkonventionellen, originellen Formen schaut, weil darüber dann auch kreative Inspiration entsteht - aber eben auch als eine ganz besondere Ausdrucksinstanz, also Ausdrucksmittel zu finden, die weit über das hinausgehen, in dem ja sie normale Auseinandersetzung dann mit Zukunftsentwicklung passieren. Es kann ja... Es geht also auch... Wenn wir uns jetzt heute so Veränderungsprozesse anschauen, die haben ja oft viel mehr mit Emotion, mit Stimmung zu tun, also auch mit Energien, also Kraftfeldern. 00:30:37:02 - 00:32:01:07 Uwe Schneidewind Das hat - sagen wir mal - Qualitäten, die ich jetzt auf der Ebene von Worten und zumindest im Sachaufsatz gar nicht in der Form fassen kann. Ein guter Kollege von mir hat mal ein DFG-Projekt gemacht, um Veränderungen in Organisationsprozessen mit Jazzmusikern zu beschreiben. Also weil - und das leuchtet einem auch sofort ein - also weil: Die Energie, der Rhythmus, Dissonanzen in so Veränderungsprozessen, die kriege ich über... ja also das Fangen in einer Melodie sehr viel besser beschrieben und auch vermittelt als ich das vielleicht auf den Worten auch kann. Ich glaube, deswegen kommt Kunst und Kultur, kam ja immer schon in Veränderungsprozessen so eine zentrale Bedeutung zu. Und Kulturinstitutionen sind natürlich ein Stück auch Seismographen dafür. Also sie helfen mir eben durch ganz andere Mittel das einzuordnen, was ich da sehe und erlebe, das persönlich dann auch fühle, um noch mal ganz andere Formen der Orientierung zu geben. Und gutes Kunst-, Kulturmanagement nimmt diese Rolle einfach aktiv an und bringt Institutionen dann in die Situation, dieser Katalysator zu sein und daraus dann natürlich auch noch mal vielleicht Antworten zu finden auf die völlig veränderten Randbedingungen, unter denen man solche Kulturinstitutionen heute dann im Umfeld behaupten muss. 00:32:01:11 - 00:32:46:00 Uwe Schneidewind Denn diese Veränderungen, die sind ja nicht unabhängig da, sondern die betreffen natürlich auch die Kulturinstitutionen, ihre Finanzierungsgrundlagen, die Art und Weise, dass sich Menschen bereit sehen, dort einzubringen. Dadurch entsteht, glaube ich, so ein ganz eigenes Wechselverhältnis. Und das ist... Auch noch mal: ich komme selber aus einer Beobachtungsinstanz, Wissenschaft, die macht das ja zum Teil extrem privilegiert, also auf irgendwelchen Lebenszeitprofessuren, die Welt zu beobachten. Das kann auch schnell zu einem abschlaffenden Blick führen. Während wenn man sich selbst in dieser Welt immer wieder in den Spannungsfeldern behaupten muss, da, glaube ich, ist eine ganz andere Grundspannung im Positiven und natürlich auch mit all den negativen Effekten damit verbunden. 00:32:48:09 - 00:32:56:24 Eva Hüster Sie haben ja diesen tollen Begriff Zukunftskunst geprägt. Oder, ich weiß gar nicht, haben Sie den sich ausgedacht oder entwickelt? 00:32:57:14 - 00:34:29:17 Uwe Schneidewind Ja, also der ist schon jetzt über uns und mich damit hineingekommen. Ich weiß noch, wir haben immer mit dem englischen Begriff transformative literacy gearbeitet. Also - sagen wir mal - es gibt diesen literacy-Begriff im Englischen, der ist ja eigentlich ein sehr wertvoller, weil der wirklich ja jetzt nicht nur so eine formale Sprachbeherrschung bezeichnet, sondern auch so eine Art Kontextsensibilität. Und dadurch hat er ja in viele Bereiche Einzug gefunden, also Computer literacy, future literacy. Und wir haben mit so einer transformative literacy gearbeitet, also diese literacy mit Transformationsprozessen verbunden. Ich weiß immer noch, Ernst Ulrich von Weizsäcker, der das Wuppertal-Institut gegründet hat und der immer noch sehr, sehr agil ist, als ich vor so sechs, sieben Jahren, mit ihm sprach, über eben einen Aufsatz, wo ich das mit dieser transformative literacy erläuterte. Und er sagt: Uwe, die Idee; das ist klasse, aber der Begriff, der ist einfach Mist, der zieht nicht. Und Ernst Ulrich von Weizsäcker hatte immer ein Gefühl so für Sprachbilder und ich dann sehr intensiv in mich gegangen bin und die Frage: Wie fasst man das eigentlich auch in einen guten deutschen Begriff? Und irgendwann ist dann dieser... kam dieser Begriff der Zukunftskunst bei mir hoch. Weil: Das Schöne ist ja, dass der Kunstbegriff im Deutschen sowohl diese Dimension der "Art" hat, also des Künstlerischen im Englischen als auch "Craft", also das Handwerkliche. Also und der literacy-Begriff, der hat eigentlich auch beides. 00:34:29:23 - 00:35:52:24 Uwe Schneidewind Das ist das sehr, sehr Handwerkliche, das technische Beherrschen, aber eben es auch in einer kunstvollen Form, immer wieder auch kontextsensibel anwenden zu können. Und so ist das entstanden. Und es war damals... Wir haben das dann auch mal sozusagen gegoogelt, um zu gucken: Gibt es das eigentlich schon? Verwendet das irgendjemand? Damals war das wirklich nur belegt so mit einigen Ausstellungen, die sich damit auseinandersetzen: Wie sieht denn Kunst in der Zukunft aus? Und dann waren wir natürlich noch mehr der Überzeugung: Wow, das ist der Begriff, der ist einfach schön, der ist noch nicht besetzt. Und in diesem Nachhaltigkeitsdiskurs... Nachhaltigkeit ist ja ähnlich wie Innovation so verbraucht und so, dass man damit mit so einem neuen Begriff natürlich auch mal die Möglichkeit hat, Dinge zu betonen, von denen man der festen Überzeugung ist, dass die in der bisherigen Debatte eine zu geringe Rolle gespielt haben. Und uns es ja darum ging, diese Debatte über Nachhaltigkeit aus dem Moralinsauren herauszuholen und sehr viel stärker das Kreativ-Experimentelle auch zu betonen. Und das ist natürlich mit Begriff sehr gut möglich. Insofern ist es eine wirkliche Begriffsinnovation gewesen. Und da hat das Wuppertal-Institut ja in den letzten 30 Jahren immer wieder auch Zeichen gesetzt und das stand mal wieder an, und uns natürlich sehr gefreut hat, dass der auch bei vielen auf so eine positive Resonanz gestoßen ist. 00:35:53:10 - 00:36:25:02 Eva Hüster Also da muss ich auch wirklich sagen, da hat die Wissenschaft ja wie die Kunst immer so die Herausforderungen, die Sachen, an denen sie arbeiten, auch verständlich zu machen für eine breite Öffentlichkeit. Und da finde ich den Begriff wirklich überraschend zugänglich. Also für sozusagen gerade Wirtschaftswissenschaft finde ich den so bildhaft und dann aber eben auch weiter, bei der Frage: Wie funktioniert Kunst, wie funktioniert...? Also wir haben zum Beispiel den Begriff der kreativen Überschreitung in unserem Studium, ja jetzt in dem Kulturmanagementstudium, also all diese Begriffe. 00:36:25:04 - 00:36:26:00 Uwe Schneidewind Auch ein schöner Begriff. 00:36:26:00 - 00:36:34:12 Eva Hüster Ja. Also die machen... die ergeben sofort Sinn und passen in dieses Bild rein. Also vielen Dank dafür. 00:36:34:12 - 00:37:14:06 Joyce Diedrich Vielleicht auch was Poetisches. Oder ich habe gerade gedacht: Der hat so was Spielerisches, der Begriff und gleichzeitig ist es auch was Poetisches, insofern dass... Ich habe eben gerade im Vorgespräch mit Eva... habe ich aus Versehen Zukunftsmusik gesagt. Und es hat ja trotzdem... Also ich meine, ich gehe jetzt einmal davon aus, dass auch Ihnen der Gedanke schon mehrfach gekommen ist, das ist so was Schönes, weil dieser Begriff ja was ganz Tolles ist. Also Zukunftsmusik steht ja für Hoffnung und für ja, was Neues, Kreatives und Wachstum in einem positiven Sinne, nehme ich mal an. Und genau. Also deswegen finde ich schön, also was der für Assoziationen weckt. 00:37:15:03 - 00:38:42:04 Uwe Schneidewind Ja, gerade wenn man jetzt in die unterschiedlichen auch Kunstgattungen geht. Und ich finde, das ist eben auch wirklich reizvoll zu sehen, in welchen künstlerischen Ausdrucksformen man bestimmte Formen von Transformationsprozessen gut gefasst bekommt. Also wir haben ja auf dem Buch - jetzt einmal des Wuppertalbezugs wegen, weil ja Tony Cragg eben aus Wuppertal heraus wirkt - aber diese Arbeit und der Bildhauerei, das Arbeiten mit Materialien, das hat für mich eben jetzt für solche komplexen Transformationsprozesse immer eine sehr hohe Inspirationskraft gehabt, weil: Wenn du vor einem so rohen Stein stehst, dann ist das ja erst mal etwas, wo du das Gefühl hast: Da geht gar nichts. Das heißt, du brauchst ein sehr, sehr klares Bild und eine Vision davon, was eigentlich in diesem Stein steckt und dann aber ganz, ganz viel auch harte, zum Teil ja auch körperliche Arbeit, um das aus dem Stein rauszuholen. Es ist eben ein sehr kraftvolles Bild dann, wenn Transformationsprozesse nicht so eine Leichtigkeit haben, sondern klar ist, dass das über Jahre und vielleicht ja auch Jahrzehnte intensives Arbeiten ist, man aber dennoch nie die Idee davon verlieren darf, was da eigentlich auch drin steckt. Und sich dann vielleicht zum Teil aber auch im Prozess modifiziert, weil man merkt... da entdeckt man jetzt Härten in dem Material, an die man nicht anders herankommt und sie dann wieder kreativ bearbeiten muss. 00:38:42:04 - 00:39:50:02 Uwe Schneidewind Während jetzt gerade diese Arbeit mit Akteuren... Da bietet sich in Wuppertal natürlich dieser Begriff in der Choreografie, da hat das Tänzerische eine wichtige Rolle. Also Pina Bausch hat ja den Tanz auch darüber neu erfunden, dass sie ganz anders die Individualität der Tänzerinnen und Tänzer in ihre Choreografien einbezogen hat. Und ich hier oft so eine Oberbürgermeisterrolle auch zum Teil so verstehe: Du hast in so einer Stadt einfach ganz viele Tänzerinnen und Tänzer mit sehr unterschiedlichen, ausdrucksstarken, ihren eigenen Individualitäten. Und am Ende geht es eben darum, eine Choreografie zu schaffen, die diesem Einzelnen Raum gibt und dennoch etwas zu erzeugen, was dann in dem Zusammenspiel sehr, sehr viel mehr ist. Also man hat, je nachdem - und so ist das mehr Zukunftsmusik - je nachdem, zu was man einen Bezug hat, ist ja... also dann wirklich fast schon instrumenten- dann vielleicht auch -abhängig, also wo hast Du Improvisationsmöglichkeiten... Wo bist du mehr beschränkt durch die Ausdrucksmöglichkeiten? Und das schafft, also das schafft glaube ich eine gewaltige Spiel- und Kreativitätswiese, das dann auf unterschiedliche Kunstformen zu übertragen. 00:39:51:08 - 00:40:22:12 Eva Hüster Ja, da steckt aber auch, finde ich, noch was drin, zumindest in den beiden Beispielen, nämlich dass man von dem ausgeht, was man hat. Also diese... das haben... Also auch da ein Begriff aus unserem Studium, Effectuation, auf den wir kürzlich gestoßen sind - viel zu spät, liegt aber auch an unserer Studienplanung -, der sich sehr stark damit beschäftigt, dass man eben ressourcenorientiert arbeitet, also ausgeht von dem was da ist. Ein Stein oder das Tänzerensemble, Tänzerinnenensemble. Also ja. 00:40:23:20 - 00:40:25:19 Uwe Schneidewind Wir kriegen ja wirklich eine tolle Begriffswelt. 00:40:26:01 - 00:40:26:08 Eva Hüster Ja. 00:40:27:06 - 00:42:10:05 Uwe Schneidewind Würde ich jetzt sagen. Im Ruhestand studiere ich noch mal bei Ihnen, weil das ist ja wirklich ein breiter Fundus. Ja, weil, wie Sie das auch sagen, die... Also gerade das ist natürlich in der politischen Arbeit auch zentral, Begriffe zu prägen, die für viele Menschen anschlussfähig sind. Da ist das natürlich das, was wir jetzt hier machen schon ein sehr herausfordernder Diskurs. Also wenn ich jetzt mit der Breite der Stadtgesellschaft agiere, da haben die Menschen natürlich so viel andere, sehr viel grundsätzlichere, dass solche Kategorien und Begriffe, die uns jetzt inspirieren, die da eher den Reflex auslösen: Wovon redet der Mann, der soll mal Deutsch reden. Ich will jetzt endlich mal die Straße vor der Haustür serviert bekommen. Das ist natürlich aber auch wieder das hochinteressante jetzt Spannungsverhältnis. Also wie viel Komplexität in der komplexen Welt kann ich jetzt eigentlich auch in dem demokratischen Prozess Akteuren zumuten? Und wie kann das gelingen? Das ist... Da merke ich eben schon die Inszenierungsmechanismen, jetzt auch im politischen Prozess, folgen natürlich ganz anderen Mustern und sind jetzt nicht immer komplexitätsadäquat. Und das aushalten zu können, dass man einfach sieht: Boah, das ist schon kompliziert, aber wenn ich es versuche, so zu transportieren, wie sich es mir darstellt, dann habe ich schon verloren. Und da können gute Sprachbilder und Begriffe, die einem zumindest eine Ahnung davon geben, da ist vielleicht noch mehr hinter und es lohnt, sich intensiver damit auseinanderzusetzen, können ja total wertvoll sein. 00:42:10:19 - 00:43:13:21 Joyce Diedrich Wo wir gerade schon bei Begrifflichkeiten sind - Eine Überleitung - Und zwar... Also erst mal gibt es diese These - wir haben es ein bisschen mit Netzwerktheorie beschäftigt, aber wirklich nur in den Ansätzen und da gibt es eine These eben -, dass aus neuen Beziehungen Neues entsteht. Es kann natürlich auch aus alten Beziehungen Neues entstehen. Jetzt aber hier die Frage: Kulturmanager:innen werden in dem Zuge auch als Masters of Interspaces bezeichnet, als Meister:innen der Zwischenräume. Generell kann man das sicher auf manageriale Positionen übertragen und sicherlich auch, wage ich mal zu behaupten, auf Politiker:innen, nehme ich mal an. Trotzdem hier die konkrete Frage: Wo sehen Sie denn noch Potenziale an genau dieser Schnittstelle zwischen Kultur und Politik? Jetzt haben wir die einzelnen Stationen quasi und ihre Bedeutungen erläutert und darüber geredet. Aber trotzdem: Was kann es noch für Schnittstellen geben, die mehr genutzt werden könnten? 00:43:14:20 - 00:44:23:23 Uwe Schneidewind Es ist schön... ein schönes Bild, Masters of Interspaces. Da haben Sie natürlich durchaus recht im Hinblick auf die Vielfalt der Kontakte und Sphären, in die man eintaucht, da sind ja Politik und Kunst durchaus auch vergleichbar. Gerade jetzt in so einer sehr vielfältigen, bunten Stadtgesellschaft. Das gilt ja sicher nicht jetzt für jedes Politikfeld. Wenn ich jetzt Fachpolitiker und Politiker bin und Wissenschaftspolitik mache, dann habe ich natürlich noch mit einem Stück Gruppe zu tun, aber jetzt in der Lokalpolitik und als Oberbürgermeister bist du natürlich wirklich mit allen Teilen der Stadtgesellschaft in Beziehung. Und Künstlerinnen und Künstler, die das eben aktiv suchen, weil sie wissen, da ist eine hohe Anregungsqualität dahinter, sind ja in der gleichen Situation. Der Unterschied ist natürlich der, dass Künstlerinnen und Künstler immer wieder das Besondere suchen können. Das eben, was dann noch mal eine ganz eigene Qualität erzeugt, während Politik natürlich immer unter diesem Zwang funktioniert: Wie bringe ich das alles zusammen? Wie schaffe ich am Ende etwas, was den unterschiedlichen Interessen auch gerecht wird? 00:44:23:23 - 00:45:39:00 Uwe Schneidewind Gerade nicht den Einzelfall zulasten dann vieler anderer dann auch kultiviert. Und darum, glaube ich, jetzt an dieser Schnittstelle von Politik und Kunst, ist glaube ich, in Stadtgesellschaften und insgesamt, glaube ich, total wichtig, dass Kunst und Kultur denjenigen eine Stimme geben kann, die in den normalen politischen Prozessen viel zu selten gehört werden. Also da leistet Kunst, glaube ich, eine ganz wichtige Brückenfunktion. Wir haben das bei uns in Wuppertal mit vielen Projekten, auch der Freien Szene, die in dann auch herausforderndere Stadtteile gehen und plötzlich Menschen eine Stimme geben und auch mal eine Bühne, die sonst immer hinten überfallen und das dann auch zurückspielen in den politischen Alltag, auch Kunst- und Kulturprojekte, die ja dann auch millieu- und gruppenübergreifend sind, bauen plötzlich Brücken. Und durch den gemeinsamen Zugang eben zur Kunst oder auch künstlerischem Handeln entstehen Verbindungen über eben diese gemeinsame Sprache. Das sind ja manchmal auf so ganz basaler Ebene... 00:45:39:00 - 00:46:35:19 Uwe Schneidewind Wir haben Wuppertal, gibt es auch in anderen Städten, so eine Singpause, also wo Gesangstrainerinnen und -trainer in Grundschulen gehen und dann über mehrere Wochen immer 20 Minuten mit den Schülerinnen und Schülern zusammen üben. Und dann gibt es eben so ein großes Abschlusskonzert in unserer prachtvollen historischen Stadthalle mit der tollen Akustik. Und da singen dann diese ganzen Sechs- bis Neun-jährigen aus so einer ganz bunten Stadtgesellschaft ein Potpourri an Liedern. Und das ist so verbindend, weil: Du merkst, es sind eben alle mit Energie dabei. Und Musik ist ihre gemeinsame Sprache. Sie entwickeln ein verbindendes Element über alle Unterschiedlichkeiten, die sie vielleicht im Alltag eben auch erleben. Da wird dann Kunst in vielerlei Hinsicht hochpolitisch, weil sie Integrationsplattformen auch schafft, dazu beiträgt, dass eine Stadtgesellschaft mehr das Gemeinsame sich immer wieder entdeckt, als das Trennende. Da würde man natürlich noch eine ganze Reihe weiterer Beispiele finden. 00:46:36:23 - 00:47:20:19 Joyce Diedrich Wie Sie gerade sagen, die Outreach-Formate, die entstehen, können durch Kultur und eben... ein Zusammentun mit der Politik. Gibt es noch... Gibt es denn noch vielleicht konkrete Beispiele, wo Sie auch jetzt gerade vielleicht sagen würden: Hm, wenn ich jetzt mal drüber nachdenke, da könnte die Politik vielleicht noch was tun, um diese Prozesse auch mehr anzuregen? Also wo Sie die Politik mehr in der Pflicht sehen. Vielleicht jetzt konkret in Wuppertal, aber vielleicht auch woanders. Also wir, Eva und ich, kennen Beispiele aus anderen Städten gut, weil wir in anderen Städten sehr in der Theaterwelt dort integriert sind und dann natürlich auch in den Städten sozusagen. Ja. 00:47:21:12 - 00:48:45:12 Uwe Schneidewind Ja, ich glaube, die Herausforderung, die sich an Politik stellt, ist ja einfach, diese Freiräume zu schaffen, offen zu halten. Und das ist natürlich einerseits einfach die materiellen Voraussetzungen. Da ist einfach ein großes Problem im normalen politischen Betrieb, dass zwar abstrakt die Bedeutung von Kunst und Kultur wahrgenommen wird, nur manchmal auch mit sehr konventionellem Verständnis. Also so ein Teil der bürgerlichen Gesellschaft noch mit so einem klassischen Hochkulturverständs. Also Kunst, Kultur heißt, es muss ein schönes Opernhaus, ein Schauspielhaus geben. Und dort, wo Kunst und Kultur dann experimenteller wird, bestimmte Avantgardemilieus diese Bedeutung erkennen, aber das es eben sehr, sehr schwer macht, dann oft, gerade wenn das finanziell härter wird, da so eine ähnlich starke Lobby zu finden wie für so vermeintlich unmittelbar nachvollziehbare Dinge, wir müssen Schulen bauen, die Straßen müssen saniert werden und die Innenstadt muss schöner werden... Also da ist das immer wieder auch ein hartes Ringen für die Bedeutung, die Kultur für eine gesamtstädtische Entwicklung hat und dem Bereitstellen der materiellen Voraussetzungen. Und dann eben das Schaffen von einfach Frei- und Entfaltungsräumen. Also as merkt man auch dort. 00:48:45:12 - 00:49:52:06 Uwe Schneidewind Wenn es hart auf hart kommt, dann sagt man: Diese Entwicklungsfläche, ach, wir haben doch so ein Wohnbaudruck, sollte man da eigentlich jetzt endlich mal schöne Einfamilienhäuser hinstellen und die vermieten? Und hier in Wuppertal ist das an einigen Orten wirklich auch gelungen. Aber das hing auch mit dieser Strukturwandlungs-Situation zusammen, Flächen einfach frei zu halten, Raum und auch Zeit zu geben. Wir haben so ein großes Utopia-Stadtprojekt auf einem 30.000 m² großen Areal, auch sehr, sehr innenstadtnah. Die Utopisten, das sind jetzt fast 150, 200 Menschen, die sich da auch ehrenamtlich engagieren, haben sich auch die Selbstbezeichnung gegeben: Sie sind ein andauernder Gesellschaftskongress mit Ambition und Wirkung. Das finde ich auch einfach vom Begriff so schön, weil: Es ist eben ein andauernder Gesellschaftskongress, es ist immer wieder Neuverhandeln von dem, was das Stadtentwicklung sein soll. Aber mit Ambition, also wirklich was anzustreben, was über das Normale hinausgeht. Aber es soll eben nicht beim Debattieren bleiben, sondern es soll auch immer wieder auch Wirkung erzielen. Also dieses Spannungsverhältnis also wirklich alleine jetzt auch in so einem wunderbaren Sprachbild zu fassen. 00:49:52:06 - 00:50:51:15 Uwe Schneidewind Und das war zum Teil ein sehr, sehr harter Kampf, weil: Tolles Gelände, da lecken sich viele Investoren die Finger, die sagen: Da muss man Gewerbe entwickeln, ließe sich das toll vermarkten. So was frei zu halten und plötzlich zu spüren, was dann für völlig neue Qualitäten für die Stadtentwicklung in so einem Raum entstehen, wenn das dann freigehalten ist. Wir haben jetzt so einen großen Solar-Decathlon hier durch, internationale solare Bau-Wettbewerbe, wo wirklich 150.000 Menschen über aus der Welt, hier herkommen, um sich solche 18 Testbauten anzuschauen, die von studentischen Teams entstanden sind, das hätten wir nie in unserer Stadt und so innenstadtnah inszenieren können, wenn nicht durch dieses Engagement, das Freihalten solcher Räume, so ein Platz da ist. Und dadurch entsteht jetzt eine völlig neue Qualität, die bei normaler Form der Planung gar nicht möglich gewesen wäre. Das ist sozusagen das andere, andere Kontextfaktoren, wo eine kultursensible auch Stadtpolitik immer wieder darauf achten muss. 00:50:53:16 - 00:51:37:18 Eva Hüster Ist ja auch interessant die Frage nach der Rolle aktiv oder passiv, ne. Also Sie haben vorhin gesagt: ermöglichen. Ich will Sie darauf jetzt gar nicht begrenzen, weil... also zu frei... Also Freiräume schaffen bedeutet ja auch, das aktiv zu machen, aber ich... Also Herr Zierold zum Beispiel sagt in letzter Zeit häufiger mal, dass er auch findet, dass die Kulturinstitutionen oder die Kulturschaffenden durchaus in der Pflicht sind, auch weiterhin relevant zu agieren und ihre Relevanz immer wieder neu zu zeigen, weil es sonst einfach sehr schwer wird für die Politik, das zu rechtfertigen. Genau das, was Sie sagen. Also warum soll ich jetzt eine Kulturaktion fördern, wenn ich auch eine Straße bauen kann oder ein Haus? 00:51:38:01 - 00:53:08:01 Uwe Schneidewind Ja, absolut. Und das ist... das ist eben ein schwieriges Spannungsverhältnis, weil natürlich in so einem Nützlichkeitsdiktat leben und das immer, wenn es um die harten Entscheidungen geht, das entscheidende Kriterium ist und Kunst natürlich gerade dadurch ihre besondere Kraft entwickelt, dass sie sich davon unabhängig macht. Also dass sie eben nicht nur in funktionalistischen Dimensionen denkt. Und gleichzeitig, wenn sie sich komplett davon freimacht, es plötzlich extrem schwierig ist, selbst für diejenigen, die sie unterstützen wollen, in so einer Zeit enger werdender Ressourcen das zu machen und dieses Spannungsverhältnis gut auszutarieren, das ist sicher auch eine herausragende Anforderung an Kulturmanagerinnen und -manager der Zukunft. Also wie halte ich so ein Freiraum in so einer Institution offen und schaffe es dennoch, die gesellschaftliche Bedeutung der Institution immer wieder deutlich zu machen? Das sind die Wissenschaftseinrichtungen, das ist ein ähnliches Thema, auch mit den gleichen internen Debatten von: Wissenschaft muss völlig frei sein, sonst entsteht kein neuer Gedanke, versus: Natürlich ist da eine gesellschaftliche Verantwortung für einen solch privilegierten Raum, den Gesellschaft ja auch bereitstellt. Und wenn da nicht immer wieder deutlich wird, nicht in so einem direkt unmittelbaren Maße, aber warum das eine ganz wichtige Funktion für gesellschaftliche Veränderungsprozessen hat, dann wird das schwierig. 00:53:08:12 - 00:53:27:00 Eva Hüster Sie haben das schon an so vielen Stellen tolle Beispiele gesagt. Ich würde jetzt trotzdem noch mal ganz konkret fragen: Zu dem Begriff Innovation, gibt es da ein Innovationerlebnis, was Sie vielleicht selber mitgestaltet haben oder mit in die Wege geleitet haben, was Sie uns gerne noch mal erzählen wollen? 00:53:27:12 - 00:54:39:17 Uwe Schneidewind Ja, also ich bin jetzt, dieses Beispiel der Utopiastadt, die ich gerade skizziert habe, das hat mich schon extrem geprägt. Nicht als etwas, was wir selber auf den Weg gebracht haben, aber wo wir eben etwas vorgefunden haben hier in der Stadt und dem Ganzen, dadurch, dass wir eben auch Begriffe gegeben haben... Also neben der Zukunftskunst hat ja... Im Wuppertal-Institut waren wir ja auch sehr stark prägend in dieser Idee des Reallabors. Also das Schaffen solcher geschützten Räume, in denen das Experimentieren in dem reflexiven Modus stattfindet. Und wir... In dieser engen Zusammenarbeit mit der Utopiastadt war das wirklich klassische, urbane Innovation, war ein Innovationsraum in der intensiven Zusammenarbeit damals im Wuppertal-Institut, aus der Universität heraus, das zu verstärken, Legitimationskontexte zu geben auch natürlich zum Teil auch einfach basal Forschungsmittel einzuwerben, um das entsprechend weiterzuentwickeln und jetzt auch so was wie ein Solar-Decathlon, der dann aus einer Kooperation der Universität mit diesem Utopiastadt-Gelände entstanden ist. 00:54:39:17 - 00:55:46:21 Uwe Schneidewind Das ist eigentlich eine Innovationsdynamik, auch im Zusammenspiel sehr unterschiedlicher Akteure, die mich extrem inspiriert hat, weil immer wieder deutlich wurde, was da passieren kann, wenn im urbanen Raum, sehr unterschiedliche Formen von Akteuren mit verschiedenen Zugängen zusammenkommen und ein verstärkendes Moment entwickelt und mich eben auch überhaupt mich motiviert hat, jetzt Oberbürgermeister so einer Stadt zu werden, weil wir gerade in Wuppertal ganz viele dieser Konstellationen haben und das Gefühl, da ist noch viel, was sich heben lässt. Und jetzt in so einer Art Choreograf der Stadt zu sein, auch wenn die Oberbürgermeisterrolle oft eine sehr viel basalere ist... Das war eigentlich mit so eine hochinteressante auch Motivation. Von daher ist, wenn ich jetzt auf die letzten Jahre schaue, all das, was hier um die Utopiastadt herum passiert ist so ein ganz, ganz wichtiges, ja, inspirierendes Moment, wenn es um Innovation im städtischen Raum geht. 00:55:47:13 - 00:57:23:22 Joyce Diedrich Als letzte Frage vielleicht noch einmal... Also was uns generell aufgefallen ist bei der Vorbereitung ist, dass Sie sehr hoffnungsgebend sprechen. Also das ist ganz faszinierend, finde ich, also dass man... dass Sie Beispiele nennen einfach aus der Wissenschaft und die, wie Sie selbst schon vorhin gesagt haben, für jeden zugänglich sind und verständlich sind im Sinne von: Alleine die Tatsache in 7.000 Menschen wird es noch Menschen geben, auf diesen... äh, 7.000 Jahren wird es noch Menschen auf diesem Planeten geben. Punkt. So. Das muss man sich jetzt... Darum muss man sich keine Sorgen machen. Wie viele das dann sind und wie die Zustände sind, das sind die anderen Fragen. Genau. Aber dass man so... Ja, das wollte ich nur einmal kurz loswerden. Aber dahingehend trotzdem die Frage: Würden Sie denn uns... Was würden Sie uns jetzt noch mit auf den Weg geben wollen? Vielleicht auch im Zusammenhang damit, dass wir jetzt gerade in einer Welt sind, die nicht nur die Vuca-Welt ist und Ambiguität und Digitalität und Globalisierung als Themen hat, sondern jetzt auch noch die neuen Faktoren, die irgendwie dazugekommen sind. Fridays for Future liegt schon... Gefühlt ist das wie so eine romantisierte Zeit. Also wenn ich daran... weil ich... Ich habe vorhin in eine Folge reingeschaltet von Ihnen, wo Sie ganz angeregt über Fridays for Future reden und das ist so toll und es wird ja auch wieder jetzt relevanter zum Glück. Trotzdem gibt es diese ganzen Faktoren, so was wie jetzt eben Krieg, Pandemie, Inflation kommt jetzt noch. Was kommen noch für Themen... 00:57:24:08 - 00:58:55:05 Uwe Schneidewind Ja, also ich glaube, diese Kategorie Hoffnung, das haben Sie ja auch gemerkt, die spielt ja für mich eine zentrale Rolle. Und hinter diesem Hoffnungsbegriff steckt ja jetzt keiner - das mache ich ja in Vorträgen auch immer wieder deutlich -, der jetzt auf ein bestimmtes äußeres Ergebnis zielt. Sondern Hoffnung, ja, einfach dieses Geschenk ist, an etwas teilhaben zu können, das größer ist als man selber. Und dieses Teilhabenkönnen eigentlich jeden Tag dann wieder die Kraftquelle ist. Das kann man jetzt religiös oder christlich fassen, da sind das dann solche Kategorien. Die Gnade - Du bist dir einfach bewusst, dass du an etwas teilhast, das weit über dich hinausreicht und das ist dann Kraft- und Hoffnungsspender. Aber man kann das natürlich auch ganz, sehr viel nüchterner aus einer humanistischen Perspektive sehen. Und das ist, glaube ich, jetzt auch für Menschen, die künstlerisch unterwegs sind durchaus auch sehr, sehr zugänglich. Also wenn du... Im Musizieren merkst du ja plötzlich, du bist Teil von etwas. Ja, also das geht so weit über dich hinaus. Es verbindet sich mit Menschen auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Und ja, in einer schon fast faszinierenden, nur ganz schwer zu greifenden Form. Also du spürst, da steckt in jedem von uns und auch in uns insgesamt ein Potenzial, das man immer wieder entfachen kann. 00:58:55:09 - 01:00:24:09 Uwe Schneidewind Und dieses Potenzial und die Entfaltung dieses Potenzials ist natürlich im tagtäglichen Leben, geht das ständig im Gegenwind. Also und das merke ich natürlich jetzt auch in der Oberbürgermeisterrolle. Also da draußen laufen ganz andere Motivlagen und in uns als Menschen sind auch noch ganz andere Dinge angelegt. Aber dennoch ist es das Feuer, das einem niemand nehmen kann. Also und jetzt Sie, und das gilt ja auch für mich genauso, wir genießen einfach das gewaltige Privileg, in Sphären und an Orten tätig sein zu können, wo sich dieses Potenzial immer wieder entfaltet. Und ich glaube, dass das wirklich wichtig ist, sich immer wieder ein Netzwerk von Menschen zu suchen, mit denen man dann auch in schwierigen Situationen sich selber dessen immer wieder bewusst werden kann. Das denn... Wie gesagt, das erlebe ich jetzt zum Teil in der Oberbürgermeisterrolle, das werden Sie erleben, wenn Sie dann als Kulturmanagerinnen eine Institution führen, wo Sie jedes Jahr immer wieder aufs Härteste und bis zum letzten Tag um irgendwelche Budgets kämpfen müssen, gucken, dass Sie Ihre Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht entlassen müssen und gleichzeitig sich immer wieder klar zu machen: Man arbeitet ja aber doch an einer Institution, die, ja also, die ein ganzes Stück dran ist an dem, was eigentlich in uns als Menschen steckt. 01:00:24:13 - 01:01:11:11 Uwe Schneidewind Und das ist dann vermutlich auch das Privileg, jetzt in so einem Bereich zu arbeiten. Das heißt, in vielen anderen natürlich auch. Also wenn Du jetzt Kindergärtnerin bist und jeden Tag merkst, was in so einem kleinen Kind eigentlich an Potenzial steckt. Und du trägst vielleicht da mit bei, dass trotz schwieriger äußerer Chancen... Aber es ist im künstlerischen Bereich da auch ganz intensiv der Fall. Jeden Tag sich ein bisschen Zeit zu nehmen, dass diese Hoffnungsflamme nicht erlischt. Auch in solchen Phasen, wo es da manchmal ein Stück härter wird. Das kann man, glaube ich, immer nur mitgeben. Manchmal wird es ganz schön hart. Also auch, wenn das bei mir oft sehr hoffnungsfroh klingt, musste in den letzten anderthalb Jahren auch oft sehr darauf achten, dass einfach nicht zu viele Leute versuchen, dieses Feuer auszublasen. 01:01:12:08 - 01:01:13:05 Joyce Diedrich Ja, ja. 01:01:13:05 - 01:01:14:10 Eva Hüster Vielen Dank. 01:01:14:10 - 01:01:15:09 Joyce Diedrich Vielen, vielen Dank. 01:01:16:15 - 01:01:28:16 Musik [Musik. Verzerrte Stimme: Kulturmanagement innovativ]